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BeitragVerfasst: So 18. Nov 2012, 20:22 
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Hallo,

ich hab jetzt doch mal eine Frage zum Klinikaufenthalt unserer Tochter. Sie ist jetzt einen Monat da, hat normalerweise zweimal in der Woche eine Therapiesitzung (aber in der letzten Woche sind beide ausgefallen), und sonst gibt es halt Programm im Haus und vom Haus aus, Arbeitstherapie, "Sozialtraining" (das letzte Woche aus Kartenspielen bestand; davor die Woche aus einem Stadtbummel), ein wenig Schule (4 Stunden pro Woche), Gruppengespräch einmal pro Woche, Tagesauswertung einmal täglich, und vor allem viel Alltag im Haus mit den anderen Jugendlichen dort. Wobei der Alltag, wie mir scheint, vor allem aus Fernsehen und Wii-Spielen besteht ... Der Ausgang einmal täglich wird offenbar auch dazu benutzt, dass die Jugendlichen heimlich im Wald rauchen, bevor sie im Haus duschen gehen (das hat sie uns erzählt, wobei sie natürlich beteuert, dass sie nur daneben steht). Unsere Tochter findet es "cool" dort. (Ich muss dazu sagen, dass wir zuhause weder Fernsehen noch Wii haben ... nur einen Computer ... Und so viele Süßigkeiten, wie sie dort verputzt, hat sie bei uns zuhause auch nicht ...)

Im Moment frage ich mich, ob das dem Eigentlichen so förderlich ist. Natürlich tut es ihr gut, dass sie alle Anforderungen, die an sie gestellt werden (Regeln einhalten) mühelos bewältigt (im Alltag fühlte sie sich überfordert, vor allem von den schulischen Dingen im Vergleich zu ihrem Bruder, der so eine Art "Überflieger" ist) und viel Freiraum hat mit anderen Jugendlichen, die sie mögen (in ihrer Klasse wurde sie gemobbt). Ich denke, auch der geregelte Tagesablauf hat für sie sein Gutes. Es ist ein bisschen so wie eine Ferienfreizeit, zumindest wirkt das so nach außen auf mich. Aber ich habe momentan Zweifel, ob sie wirklich dort ihren Verletzungen auf die Spur kommt, ihr Verhalten und ihre bisherige Situation überdenken kann und Hilfe bekommt, um Strategien für den Alltag zu entwickeln. Vielleicht passiert das ja, und ich sehe es nur noch nicht? Oder die Zeit ist einfach noch viel zu kurz, die sie jetzt dort ist? Bin ich zu ungeduldig? Welche Erfahrungen mit Klinikaufenthalten habt ihr gemacht?

Ich freue mich über Antworten! Liebe Grüße,

Nachteule

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Verfasst: So 18. Nov 2012, 20:22 


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BeitragVerfasst: So 18. Nov 2012, 21:34 
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Liebe Nachteule,

meine Tochter war 14 Jahre alt, als sie für knapp fünf Monate die Klinik besuchte. Sie war auf ihrer Station mit 8 Jugendlichen im Alter von 13 - 15 Jahren zusammen (jeweils 2-Bett-Zimmer).

Die ersten vier Wochen gab es eine absolute Kontaktsperre. Das war und ist in diesem Haus so üblich. Keine Besuche, keine Telefonate. Die Eltern durften zu bestimmten Zeiten auf Station anrufen und nachfragen, wie es ihrem Kind geht, man konnte auch Grüße ausrichten. Das Briefeschreiben war erlaubt.

Danach durfte sie von Samstag früh bis Sonntag abend jede Woche nach Hause. Wobei diese Nachhause-Wochenenden von der Klinik allerdings auch als Sanktionen bei Nicht-Wohlverhalten benutzt wurden (was bei meiner Tochter aber nie zum Einsatz kam).

Die Regeln in der Klinik waren streng: kein Handy, kein elektronisches Gerät (keine Spiele, DVD, u. Ä.), Süßigkeiten mussten abgegeben werden. Jedes Kind hatte eine Süßi-Kiste, aus der es sich abends ein Teil herausnehmen durfte und während der gemeinsamen Spiel- oder Fernsehzeit (strikt begrenzt, was Zeit und Programmwahl betraf) schlecken durfte.

Die Schul- und Therapiezeiten waren genauso wie bei deiner Tochter, Nachteule. Ich hatte sehr den Eindruck, dass die therapeutischen Einzelgespräche gerne "Notfällen" zum Opfer fielen. Witzigerweise waren auch vier Stunden Unterricht nicht immer sicher, manchmal bekam meine Tochter einen Termin mit einer externen Therapeutin (die sog. Bewegungstherapeutin) mitten in die Schulzeit gelegt.

Ich schrieb die sogenannte Bewegungstherapeutin, da die Therapie in 8 von 10 Fällen so aussah, dass meine Tochter die Therapeutin auf Besorgungswegen (Einkäufen, Besuch beim Schuster,...) begleitete.

Zeitweise habe ich mir große Sorgen gemacht, ob die Entscheidung für die Klinik die Richtige war, da ich befürchtete, sie käme dort ganz raus aus jeglicher Routine. Aber dann musste ich wieder an ihre absolut verzweifelte Situation in der Schule (Mobbingopfer) und ihre eigenen teils gefährlichen Vermeidungsstrategien denken, und das hat mich innerlich bei der Stange gehalten.

Die superstrengen Regeln in der Klinik haben es mit sich gebracht, dass die kids, so unterschiedlich sie waren (sie wären im "richtigen" Leben niemals Freunde geworden), sich sehr gut untereinander organisiert haben. So gut wie jede Regel wurde erfolgreich unterwandert. Manches Mal kam's raus, dann war der Aufstand zur heimlichen Erheiterung der kids (und der Eltern :oops: ) groß, aber das hat die Gemeinschaft nur gestärkt.

Und irgendwie hat es insgesamt funktioniert.

Nach fünf Monaten ging meine Tochter wieder in ihre alte Klasse, hat sich da sehr gut eingefunden. Dieses Jahr hat sie mit der Mittleren Reife mit gutem Erfolg abgeschlossen (fünf Monate mehr oder weniger unterrichtsfrei waren gar kein Problem) und beim Abschlussball wurde viel geweint und ich war sehr glücklich, als ich sah, in wie vielen Armen sie gehalten und abgebusselt wurde.

So befremdlich vieles an der Organisation und Durchführung des Klinikalltags war, es hat doch zum Erfolg geführt. Und dafür bin ich zutiefst dankbar.

Als sehr zielführend habe ich die Drei-Seiten-Gespräche empfunden Patient, klinisches Umfeld (Bezugsbetreuer und Therapeutin) und häusliches Umfeld (Mama).

Liebe Grüße von mamusch

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Hl. Franziskus von Assisi


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BeitragVerfasst: Mo 19. Nov 2012, 17:05 
Hallo Nachteule,

M. wurde seit seinem 6. Lebensjahr im Herdecker Gemeinschafts KH behandelt ( schweres ADHS-) -regelmäßig ambulant.
http://www.gemeinschaftskrankenhaus.de/de/bereiche.fachabteilungen/kinder.jugendpsychiatrie/
Er war grade mal 11 Jahre als er zum ersten mal in der Kinder- und Jugendpsychiatrie stationär war. Er blieb 13 Wochen.
Sein 2. Aufenthalt war 3 Jahre später (schweres ADHS-atypischer Autismus) 8 Wochen.
Das Herdecker KH ist ein antroprosophisches Krankenhaus. D.h. die Kinder haben weder Handy-WII, Tablets PCs, Laptop oder ähnliches in der Klinik.
Für die Jugendlichen gibt es Handyzeiten. Nachrichten werden geguckt und 1 mal in der Woche gibts einen Fernsehabend.
Die Kinder und Jugendlichen werden in der hauseigenen Krankenhausschule unterichtet, 4 Unterrichtsstunden / Tag, stark angelehnt an den Unterrichtsstoff der Heimschule. Wohnt ein Kind in der Nähe, darf es in der heimschule hospitieren.
Der Tag ist straff gegliedert, Bewegegungstherapie/Heileurythmie, dann Schule dann eine breite Palette an versch. Therapien wie Hippotherapie-Musiktherapie-Malen und Gestalten- Platizieren bis zu den festgesetzten Pausen, Gruppentherapie, Einzeltherapie, Ausgang ....1 mal in der Woche einen von den Kids geplanten Ausflug ( Kino-Schwimmbad-Zirkus etc).
Eltern-Arzt-Therapeutengespräche fanden 1 mal in der Woche statt, das gesamte Umfeld und die Familie wurden hinterfragt und miteinbezogen, denn die Antroprosophen arbeiten ganzheitlich. Zusätzlich gab es eine Gesprächrunde (1x im Monat) nur für betroffene Eltern die von einem Psychologen begleitet wurde.
Die Eltern standen mit ihren Fragen nie alleine da! Man wurde sehr gut "mitbetreut".
Von Samstagsmorgen bis Sonntagabend durften die Kids nach Hause.
Nun war M. in der Erwachsenenpsychiatrie in Gießen. Dort ist alles lockerer, Struktur fehlt. Therapien finden regelmäßig statt...aber der junge Mensch ist doch sehr auf sich gestellt.
Was ich schade finde denn grade Autisten brauchen Struktur.

Ich hoffe ich konnte dir einen kleinen Einblick ermöglichen.


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BeitragVerfasst: Mo 19. Nov 2012, 18:38 
Liebe Nachteule,

nach dem was Du erzählst, würde ich mir auch Gedanken machen. Gibt es da nicht regelmäßige Gespräche mit den Eltern, bei denen die dann auch über den Fort- oder Rückschritt ihrer Kinder informiert werden? Oder kann es sein, dass das Problem stationsabhängig ist? Ich weiß, dass es in Kliniken oftmals Stationen mit unterschiedlichem Anspruch an die Patienten gibt, je nach Belastungsgrad (Krasses Beispiel: Auf der geschlossenen Station müssen die Menschen oftmals hauptsächlich betreut werden, ohne viele Therapien, wohingegen auf offenen Stationen manchmal richtiger "Therapiestress" herrscht). Kannst Du Dich da nochmal umtun an "Eurer" Klinik?

Alles Gute Euch beiden,
voeglein


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BeitragVerfasst: Mo 19. Nov 2012, 23:07 
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Danke, Felidae und Mamusch, für eure Einblicke in eure Klinik-Erfahrungen! Dein Bericht, Mamusch, lässt mich hoffen, dass auch aus nach außen hin chaotischen Zuständen insgesamt etwas Gutes bei herauskommen kann.
Voeglein, wir haben morgen das zweite Gespräch. Das erste vor zwei Wochen fand ich nicht so erhellend. Eine Stunde geht viel zu schnell herum ... Und in der anschließenden familientherapeutischen Sitzung wurden mein Mann und ich erst mal "ausgequetscht", so habe ich es empfunden - damit sie uns als Familie besser kennen lernen.
Unsere Tochter ist auf einer offenen Station. Vielleicht erlebe ich den "Therapiestress" ja auch nicht mit, weil ich erst abends anrufe, wenn der Stress vorbei ist. Vielleicht kann man abends wirklich nur noch fernsehen oder Wii spielen und chillen ... Wir wollen das morgen mal ansprechen. Also abwarten.

Liebe Grüße, Nachteule

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BeitragVerfasst: Mo 19. Nov 2012, 23:20 
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Nachteule hat geschrieben:
... Wir wollen das morgen mal ansprechen. Also abwarten.



Ansprechen was euch unklar oder unverständlich erscheint ist auf jeden Fall eine gute Strategie!

Viel Erfolg und noch mehr Geduld,
mamusch :hallo:

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BeitragVerfasst: Di 20. Nov 2012, 19:16 
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Hallöchen,

also, die Zeit bei dem Gespräch war natürlich wieder viel zu kurz für alles, was anlag ... aber es war trotzdem erst mal ein gutes Gespräch, und die Fragen, die übrig bleiben, verschieben wir dann eben auf nächstes Mal. Es ist vielleicht auch die Kunst zu vertrauen, dass andere Leute sich bei ihrem Tun (oder auch Nicht-Tun) was denken und ein gewisses Maß an Erfahrungen haben. Trotzdem haben wir auch den Eindruck, wir können Sachen ansprechen, ohne dass die gleich "weggewischt" werden. Und vielleicht braucht unsere Tochter dieses "Ferienfeeling" auch, um überhaupt erst mal von ihrem permanenten Stresslevel herunterzukommen.

Ein wenig deutlich ist heute außerdem geworden, warum sie irgendwann für sich beschlossen hat, dass wir ihr als Eltern nicht helfen konnten: sie hatte sich in der 6./7. Klasse (inzwischen ist sie 9.) uns anvertraut wegen des Mobbings, wir hatten das mit dem Klassenlehrer besprochen, der hat die Beratungslehrerin involviert, die hat ellenlange Gespräche mit den Mädels der Klasse geführt, und heraus kam, dass die hinterher noch stinkiger auf unsere Tochter waren, weil sie "gepetzt" hatte. Das hat sich in ihr wohl so festgesetzt, dass es nichts bringt, sich für solche Konflikte an Erwachsene (und eben auch nicht an uns als Eltern) zu wenden. Insofern sind die Gruppengespräche in dem Haus sicher nicht schlecht, weil sie da vielleicht mitbekommen kann, dass es bei Konflikten auch mal hilfreich sein kann, jemanden von außen dabei zu haben. Und je länger sie da bleibt, desto größer ist die "Chance", dass es nicht bei "Friede, Freude, Eierkuchen" bleibt, sondern auch Konflikte auftreten, die man miteinander lösen muss.

Wir werden weiter beobachten, aber erst mal etwas mehr vertrauen als hinterfragen ...

Liebe Grüße,

Nachteule

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