Narben im Sportunterricht

Hallo,
ich bin Schulsozialarbeiterin. Einer meiner Schüler ist diese Woche aus der Klinik zurück gekehrt. Er war u.a. wegen SVV dort. Wegen seiner langen Fehlzeit wiederholt er die Klasse, ist also jetzt in einer neuen Klasse. Sorgen macht ihm der Sportunterricht. Er möchte eigentlich daran teilnehmen, weil ihm das immer Spaß gemacht hat. Bisher hat er immer langärmlige Sachen getragen, damit seine Narben nicht sichtbar sind (es sind auch frische Wunden dabei). Das ist ihm aber fast unerträglich heiß. Kurzärmlig traut er sich nicht, weil er Angst hat, dass über ihn geredet wird. Da die Jungs aus zwei Klassen gemeinsam Sportunterricht haben und durchaus einige "vorlaute" Jungs dabei sind, ist das nicht unbegründet. Er hat nun überlegt, die Narben abzudecken (Stulpen, Abdeckstift). Ich habe aber hier gelesen, dass man das nicht empfehlen soll. Nun bin ich unsicher, was ich raten soll. Habt ihr mir dazu einen Rat?

Hallo tigerhobbes,
toll, dass du hergefunden hast! Herzlich willkommen hier!
Hier im Forum herrscht der Grundsatz, dass keine Tipps zum Verstecken ausgetauscht werden. Ich vermute dennoch, dass jede/r der Betroffenen hier in der einen oder anderen Situation nicht offen mit Spuren des SvV umgehen kann und will. Hier soll es aber eher darum gehen, wie wir mit möglichst viel Offenheit und wenig Einschränkungen zu dem stehen können, was ist.
Aber ganz pragmatisch gedacht: Wenn ich etwas gerne machen will, aber Angst habe, wegen der Narben aufzufallen, blöd angemacht zu werden, etc., dann suche ich mir Möglichkeiten, sie zu verstecken. Und wenn ich es mir so selbst ermöglichen kann, Dinge zu tun, die mir Spaß machen, dann ist das wunderbar. Vielleicht sogar irgendwann eine Möglichkeit, offen mit meinen Spuren umzugehen, weil ich z.B. in einer Gruppe gut angekommen bin und mich sicher genug fühle.
Insofern würde ich nicht grundsätzlich sagen, dass ein Verstecken blöd/falsch/kontraproduktiv ist. Solange es nicht zur Einschränkung meiner selbst wird und solange ich mir selbst damit nicht das Gefühl gebe, allen Menschen auf Ewigkeit vorspielen zu können, dass alles gut ist.
Ich hoffe, du kannst mit meiner Antwort was anfangen?

Viele Grüße!
Y

Hi,

Herzlich Willkommen hier :)

Vielleicht hilft ihm eine persönliche Erfahrung weiter. Ich habe die Erfahrung machen können, dass ein Verstecken der Narben viel offensichtlicher ist, als wenn man sie offen zeigt. Es fällt eher auf, wenn jemand in Sommer lange Kleidung an an und man stellt sich die Frage, warum tut er / sie das? Für mich gehören meine Narben zu mir. Sie sind ein Teil meiner Geschichte. Und ich denke, das langfristige Ziel sollte wirklich sein, dass man kein SV mehr braucht, sondern anders mit seinen Gefühlen umgehen kann, aber auch dazu steht.
Sicherlich gibt es kurzfristig durchaus Situationen wo ich auch sagen würde - okay, verstecke es (z.B. bei einem Vorstellungsgespräch). Aber es geht darum, sich langfristig nicht mehr zu verstecken.

Wie geht er denn in anderen Situationen mit seinen Narben um? z.B. daheim oder wenn er in die Stadt geht? Das wären z.B. erste Orte, wo er gut "üben" kann, offen zu sein, offen damit umzugehen.

Ich hoffe, ich konnte ein wenig helfen.
LG
vinter

Vielen Dank für eure Antworten! Es hat mir geholfen, nicht mehr krampfhaft mit dem Schüler zu überlegen, wie er seine Narben verstecken kann. Wir haben nun die Vereinbarung, dass er sich für den Moment noch vom Sportunterricht entschuldigen lässt, bis er diesen Schritt schafft. Er will sich schrittweise auf das Tragen von T-Shirts vorbereiten, indem er zunächst in für ihn einfacheren Situationen immer wieder die Ärmel hochkrempelt und das nach und nach ausweitet. Er überlegt auch, die Schule zu wechseln, weil ein Neuanfang für ihn eine Erleichterung wäre.

Vielen Dank für eure Antworten! Es hat mir geholfen, nicht mehr krampfhaft mit dem Schüler zu überlegen, wie er seine Narben verstecken kann. Wir haben nun die Vereinbarung, dass er sich für den Moment noch vom Sportunterricht entschuldigen lässt, bis er diesen Schritt schafft. Er will sich schrittweise auf das Tragen von T-Shirts vorbereiten, indem er zunächst in für ihn einfacheren Situationen immer wieder die Ärmel hochkrempelt und das nach und nach ausweitet. Er überlegt auch, die Schule zu wechseln, weil ein Neuanfang für ihn eine Erleichterung wäre.

Das hört sich nach einem sehr guten Plan an Nach einiger Zeit verblassen die Narben auch von selbst und dann fallen sie nicht mehr so stark ins Auge.
Ich wünsche Euch viel Erfolg!

Hallo tigerhobbes,

ich finde es gut, dass du dich mit der Problematik so engagiert auseinandersetzt und offenbar hat der Junge einen ganz guten Draht zu dir. Deshalb kam mir zum Thema Schulwechsel etwas in den Sinn: Vielleicht könnt ihr bei einer in Frage kommenden Schule gemeinsam schauen, dass er dort auch Unterstützung hat oder wie es dort allgemein um das "Klima" bestellt ist, damit der Neuanfang gut gelingt?

Viel Erfolg!
Africa