So 18. Nov 2012, 21:34
Liebe Nachteule,
meine Tochter war 14 Jahre alt, als sie für knapp fünf Monate die Klinik besuchte. Sie war auf ihrer Station mit 8 Jugendlichen im Alter von 13 - 15 Jahren zusammen (jeweils 2-Bett-Zimmer).
Die ersten vier Wochen gab es eine absolute Kontaktsperre. Das war und ist in diesem Haus so üblich. Keine Besuche, keine Telefonate. Die Eltern durften zu bestimmten Zeiten auf Station anrufen und nachfragen, wie es ihrem Kind geht, man konnte auch Grüße ausrichten. Das Briefeschreiben war erlaubt.
Danach durfte sie von Samstag früh bis Sonntag abend jede Woche nach Hause. Wobei diese Nachhause-Wochenenden von der Klinik allerdings auch als Sanktionen bei Nicht-Wohlverhalten benutzt wurden (was bei meiner Tochter aber nie zum Einsatz kam).
Die Regeln in der Klinik waren streng: kein Handy, kein elektronisches Gerät (keine Spiele, DVD, u. Ä.), Süßigkeiten mussten abgegeben werden. Jedes Kind hatte eine Süßi-Kiste, aus der es sich abends ein Teil herausnehmen durfte und während der gemeinsamen Spiel- oder Fernsehzeit (strikt begrenzt, was Zeit und Programmwahl betraf) schlecken durfte.
Die Schul- und Therapiezeiten waren genauso wie bei deiner Tochter, Nachteule. Ich hatte sehr den Eindruck, dass die therapeutischen Einzelgespräche gerne "Notfällen" zum Opfer fielen. Witzigerweise waren auch vier Stunden Unterricht nicht immer sicher, manchmal bekam meine Tochter einen Termin mit einer externen Therapeutin (die sog. Bewegungstherapeutin) mitten in die Schulzeit gelegt.
Ich schrieb die sogenannte Bewegungstherapeutin, da die Therapie in 8 von 10 Fällen so aussah, dass meine Tochter die Therapeutin auf Besorgungswegen (Einkäufen, Besuch beim Schuster,...) begleitete.
Zeitweise habe ich mir große Sorgen gemacht, ob die Entscheidung für die Klinik die Richtige war, da ich befürchtete, sie käme dort ganz raus aus jeglicher Routine. Aber dann musste ich wieder an ihre absolut verzweifelte Situation in der Schule (Mobbingopfer) und ihre eigenen teils gefährlichen Vermeidungsstrategien denken, und das hat mich innerlich bei der Stange gehalten.
Die superstrengen Regeln in der Klinik haben es mit sich gebracht, dass die kids, so unterschiedlich sie waren (sie wären im "richtigen" Leben niemals Freunde geworden), sich sehr gut untereinander organisiert haben. So gut wie jede Regel wurde erfolgreich unterwandert. Manches Mal kam's raus, dann war der Aufstand zur heimlichen Erheiterung der kids (und der Eltern
) groß, aber das hat die Gemeinschaft nur gestärkt.
Und irgendwie hat es insgesamt funktioniert.
Nach fünf Monaten ging meine Tochter wieder in ihre alte Klasse, hat sich da sehr gut eingefunden. Dieses Jahr hat sie mit der Mittleren Reife mit gutem Erfolg abgeschlossen (fünf Monate mehr oder weniger unterrichtsfrei waren gar kein Problem) und beim Abschlussball wurde viel geweint und ich war sehr glücklich, als ich sah, in wie vielen Armen sie gehalten und abgebusselt wurde.
So befremdlich vieles an der Organisation und Durchführung des Klinikalltags war, es hat doch zum Erfolg geführt. Und dafür bin ich zutiefst dankbar.
Als sehr zielführend habe ich die Drei-Seiten-Gespräche empfunden Patient, klinisches Umfeld (Bezugsbetreuer und Therapeutin) und häusliches Umfeld (Mama).
Liebe Grüße von mamusch